Die Auslastung der Intensivstationen und das AGES Dashboard – Teil 2

Wie bereits hier beschrieben finden sich in Medienberichten zur Auslastung von Intensivstationen 2 verschiedene Herangehensweisen:

  1. Es wird entweder die prozentuelle „COVID-19 Auslastung“ samt einer COVID-19 „Kapazität“ und dafür „reservierten“ oder „freien“ Betten berichtet.
  2. Oder die prozentuelle Belastung von COVID-19 PatientInnen an der Intensiv-Gesamtkapazität.

Die erste Herangehensweise entspricht der Darstellung des AGES Dashboard, dürfte aber mit der Realität wenig zu tun haben, da Intensivstationen immer zu 80-90% ausgelastet sind. Daher betrachten auch die Corona Kommission und die Prognosen des Gesundheitsministeriums für die Einschätzung der Lage den Anteil der COVID-19 PatientInnen an der Intensiv-Gesamtkapazität (also inkl. Non-Covid-PatientInnen). Da wie gesagt in normalen Zeiten von dieser Kapazität 10% bis maximal 20% frei sind, wurde von der Kommission ein Anteil von 33% als kritischer Schwellwert definiert.

Ich bin ziemlich verwundert darüber, dass dieser Anteil an der Gesamtkapazität kaum in den Medien auftaucht. Wir hören nur davon wenn diese 33% Schwelle zu übersteigen droht oder überschritten ist, sehen dann verwundert auf das AGES Dashboard, sehen einen Wert von ca. 50%, und fragen uns: Wieso ist jetzt 33% kritisch, wieso steht da steht 50%, sind da jetzt eh noch 50% der Betten frei?

Ich frage mich wie sich die Damen und Herren PolitikerInnen das eigentlich vorstellen? Wie soll die Bevölkerung wissen wie ernst die Lage ist, wenn so unklar kommuniziert wird? Ich habe mir daher darüber Gedanken gemacht wie man die Auslastung – oder sprechen wir lieber von Belastung der Intensivstationen besser darstellen könnte, habe ein eigenes Dashboard gebaut und auf Twitter damit dann doch einige Reaktionen ausgelöst.

Schließlich gibt es sogar von der Corona Kommision eigens definierte Ampelfarben für die ICU-Auslastung (bzw Kategorien von geringem bis sehr hohem Risiko), die leider nie kommuniziert werden, außer die Ampel steht auf Rot. Diese Ampelfarben habe ich für meine Darstellungen verwendet. Die Inhalte meiner Twitter-Threads möchte ich hier gerne zur besseren Lesbarkeit noch einmal wiedergeben:

Am Beispiel Salzburg lässt sich erkennen wie sich die „für COVID reservierten Betten“ ca. an der kritischen 33% Belastungsgrenze orientieren. Bedeutet also „so viele könnten wir grad noch verkraften“. Soweit, so gut. Betrachtet man den derzeitgen Stand der blauen Linie, wird vermutlich das „17.5% Systemrisiko“ damit gemeint sein, von dem der Salzburger Gesundheitslandesrat sprach. (das entspricht ca. dem Anteil der COVID Patienten an der Gesamtkapazität). Also man sieht, im grünen Bereich, also unterhalb der 10%, ist Salzburg nicht mehr. Trotzdem spricht der Salzburger Gesundheitslandesrat in der ZIB2 von „40% Auslastung“ (so wie es halt am AGES Dashboard steht – gut erkennbar am Verhältnis von blauer zu grauer Linie). Die Intensivstation wird also mit einer Fabrikshalle verglichen, die zu 40% ausgelastet ist. Stattdessen bedeutet der Zustand 40% von „grad noch verkraften“ und mehr als eigentlich frei wäre.

Kärnten ist da etwas vorsichtiger, orientiert sich mit der „COVID-19-Kapazität“ laut AGES Dashboard an den 25% der Gesamtkapazität. Kärnten ist übrigens das einzige Bundesland das im Moment bzgl. ICUs grün ist.

in Oberösterreich sieht man auch die Orienterung an den 33% und wie dann die Kapazitäten schrittweise erhöht werden wenn man sie braucht. Den November könnte man schon als 200% Covid-Auslastung sehen, auch wenn das mathematisch schwierig ist – den Ernst der Lage würde es aber vielleicht ganz gut verdeutlichen. Stattdessen sind laut AGES Dashboard immer Kapazitäten frei, obwohl schon längst in der roten Zone. Ganz gut erkennbar ist der Stufenplan des Landes, der im November 55% Covid-Anteil an der normalen Gesamtkapazität ermöglichte, was natürlich ziemliche Einschränkungen in der Versorgung mit sich brachte. Im Moment befindet sich Oberösterreich aber auch wieder nur knapp unter der kritischen 33% Schwelle, und es ist mir etwas schleierhaft, wie man hier solidarisch PatientInnen aus Niederösterreich aufnehmen soll?

Das selbe gilt für die Steiermark. Deutlich mehr als 10% Belastung durch COVID-19. Aber auch die Steiermark soll ja dann bald PatientInnen aus den östlichen Bundesländern aufnehmen.

In Tirol macht man bekanntlich alles richtig, so ist man auch nur knapp über der 10% Grenze, also nur knapp überlastet. Oder wie es das AGES Dashboard sagt: „Die ICUs sind nur zu 45% ausgelastet“. So viel zum Westen.

Bild

UPDATE 14.04.21: Interessant ist Vorarlberg. Dort zeigt das AGES Dashboard ca. alle Intensivbetten als für COVID reserviert an. (je nach Zählweise sogar mehr als das). Dort gibts wohl weder Notfälle noch Operationen.

Das ist Niederösterreich. Wie man sieht: Deutlich im roten Bereich. Was mir schleierhaft ist: Man reserviert auch in ruhigen Zeiten ca. 50-70% der ICU Gesamtkapazität für COVID-19 Patientinnen, obwohl im Normalfall nur 10-20% frei sind und bei 33% die kritische Schwelle erreicht ist? Das muss mir mal jemand erklären.

Selbiges gilt auch für das Burgenland: nur mehr 30% statt normalerweise 90% für Non-COVID zur Verfügung. Auf gut Deutsch: Notbetrieb. Aber die meines Erachtens härteste Grafik ist jene von Wien:

Während man täglich von IntensivmedizinerInnen hört dass sie nicht mehr wissen wo sie ein Intensivbett herbekommen sollen, (was ca. seit Erreichen der roten Zone so ist), zeigt das AGES Dashboard munter eine Auslastung von 64% an (wieder Verhältnis blauer zu grauer Linie). Besonders merkwürdig auch der teilweise fast parallele Verlauf von blauer und grauer Linie. Es waren also eine Zeit lang immer ca. 140 Betten frei, egal wieviele COVID-19 PatientInnen betreut wurden. Ich habe schon die Theorie entwickelt dass vielleicht ein Beamter die Excel-Spalten vertauscht haben könnte, aber ich denke da hat irgendjemand etwas zu erklären, sei es die AGES oder die Stadt Wien. Erst seit ca. 1 Woche hat man eine konstante Kapazität von 364 „COVID-19-Betten“. Zusätzlich spannend ist dass der „Stufenplan“ des Wiener Gesundheitsverbunds in Stufe 8 von 8 (!) maximal 310 Betten vorsieht. Das passt wiederum nicht zusammen mit dem Grenzwert von 159 Betten (=33%). Also, ich würde mal sagen: Etwas ist faul im Staate Österreich.

Aber es gibt doch zusätzliche Betten?

Warum wächst die Anzahl der Gesamtbetten in dieser Darstellung nicht mit den für COVID reservierten Betten mit?

1) @Traveleve2 erklärt in ihrem angehefteten Tweet dass es im Grunde keine „zusätzlichen“ Betten gibt. Sie entstehen nur durch Wegnahme von woanders.

2) Die Corona Kommission rechnet in ihrer Einschätzung des „Systemrisikos“ auch mit einer (einigermaßen) konstanten Gesamtkapazität. Sie wird leider nirgends angegeben deshalb hab ich sie aus den Daten der letzten 4 Wochen mühsam rückgerechnet. Die Einschätzung der Corona Kommission erscheint mir jedenfalls realistischer als die „Auslastungs“-Berechnung der AGES. Man sollte von „Belastung durch COVID“ sprechen und max. 10% erlauben, denn die sind normalerweise frei.

33% von was? Was ist die Gesamtkapazität?

Noch ein interessanter Aspekt zu den Gesamt-ICU-Kapazitäten ist folgender: Sieht man sich die Indikatoren der Corona Kommission vom September an, kommt man auf eine Summe von 2.547 Intensivbetten. Das entspricht auch in etwa dem Österreichischen Strukturplan Gesundheit 2017. In den letzten Wochen allerdings errechnen sich die 100% nur mehr als ca. 2.000. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Möglich wäre dass man bemerkt hat dass der gesetzte Grenzwert 33% von 2.547 zu hoch ist und man deshalb Betten für Non-Covid reserviert hat. Man hätte den Grenzwert auch auf 25% von 2.547 herabsetzen können. Das würde man auch besser nachvollziehen können – nachdem ja in Normalzeiten auch nur 10-20% Betten frei sind. Die Gesamtzahl zu ändern macht jedenfalls misstrauisch. Meine Grafiken verwenden die 2.000 Gesamtkapazität weil ich den Mismatch zwischen den Ampelfarben und den angeblich „freien“ bzw. „für COVID reservierten“ Betten darstellen will.

Fragwürdige Daten: Die freien Betten der AGES

Alles in allem gibt es mit dem AGES Dashboard meines Erachtens 2 Probleme:

1) fragwürdige Daten
2) irreführende Darstellung

Nachdem ich mich hier um Punkt 2) irreführende Darstellung schon gekümmert und eine bessere Darstellung vorgeschlagen habe (die auch die Grenzwerte der Corona-Kommission berücksichtigt), gehe ich jetzt noch Punkt 1 nach – den fragwürdigen Daten:

https://pbs.twimg.com/media/EyKC91lXEAk0H7b.jpg


Das ist ein Screenshot aus dem Bericht der Corona Kommission. Darin wird gezeigt dass am 30.03.21 in Österreich
– von 1.889 ICU Betten
– 496 frei (!) sind, schön aufgeteilt in COVID und Non-COVID
– dann könne man nocheinmal ZUSÄTZLICH 138 freie Betten schaffen.
– und so kommt man auf insgesamt 2.027 Betten.

Während es also heißt dass im Normalfall von 2.000 Betten nur 200 frei sind, wird hier – bei 538 COVID-Patienten – gesagt dass von den 2.000 Betten 496 frei sind. Das steht so ganz offiziell im Bericht der Corona Kommission und das kann nach allem was man von IntensivmedizinerInnen hört einfach nicht stimmen. Die explizite Angabe von „freien Betten“ findet man also nicht nur im AGES Dashboard, sondern auch im Bericht der Corona Kommission, was mich fast schon beruhigt, weil zumindest 2x dieselben Daten auftauchen. Andererseits ist es auch nicht verwunderlich, schließlich ist Daniela Schmid, Chef-Epidemiologin der AGES, Mitglied in diesem Gremium. Da sie auch Sprecherin desselbigen ist, wird sie sicher erklären können warum in dessen Bericht behauptet wird dass von den 2.000 Intensivbetten im Moment, bei dieser angspannten Lage, ca 500 explizit als „frei“ genannt sind.

Zum Abschluss gibts noch die Grafik für Gesamt-Österreich. Man sieht: Die Auslastungsberechnung des AGES Dashboard (blaue dividiert durch graue Linie) ist vielleicht etwas unangebracht, um es freundlich zu formulieren.